MAP 2023 – The Alternative Mobility
14. November 2023 - Ingo VetterMobilität verändert die Welt in allen Aspekten. Was bedeutet Mobilität angesichts instabiler ökologischer, politischer und sozialer Bedingungen? Month of Art Practice (MAP) lud Künstler:innen mit unterschiedlichen Perspektiven ein, das Thema von einer persönlichen bis hin zu einer globalen Ebene zu untersuchen und dabei andere Erzählungen und nuancierte Bilder zu schaffen.
MAP 2023 – The Alternative Mobility ist eine Kooperation der Hochschule für Künste Bremen (HfK) und dem Heritage Space in Hanoi, Vietnam und Teil des DLR- und BMBF-geförderten Verbundforschungsprojekts Bremen Goes Sustainable – BreGoS. An beiden Orten arbeiteten jeweils eine Gruppe von internationalen Künstler:innen und Kurator:innen zusammen mit ortsansässigen Künstler:innen und Studierenden. Die Ergebnisse werden parallel in Bremen und Hanoi gezeigt.
An der Bremer Ausstellung beteiligt sind die vier eingeladenen Künstler:innen Sylbee Kim (Berlin/Seoul), Felix Dreesen (Bremen), Kayle Brandon (Bristol) und Quỳnh Lâm (Ho Chi Minh City), zusammen mit den fünf HfK-Studierenden Alexander Schröter, Jamie Yzabel Santos, Jisu Kim, Mohar Kalra und Renen. Ergänzende Beiträge der Gruppe aus Hanoi kommen von den dort eingeladenen Künstler:innen Gemini Kim (Seoul) and Hwayong Kim (Seoul), Yuhei Higashikata (Hokkaido), Akosua Viktoria Adu-Sanyah (Zürich), den Kurator:innen Moon-Seok Yi (Seoul), Burkhard Melzer (Bern), Jieon Lee (Seoul) und den vietnamesischen Künstler:innen Ngô Đình Bảo Châu (Ho Chi Minh City), Hoàng Anh Nguyễn (Danang), Sarah Morag (Ho Chi Minh City), Nguyễn Vũ Hải (Hanoi). Das Projekt wird geleitet von Nguyễn Anh Tuấn (Heritage Space Hanoi) und Ingo Vetter (HfK Bremen).
Eröffnung im ehemaligen Eisenbahnwerk Gia Lam in Hanoi und der Dauerwelle, dem Ausstellungsschiff der HfK Bremen.
Einführungen, Präsentationen, Workshops und Performances am Eröffnungswochenende.
Gemini Kim, The Hour Of The Cat, 2023
Site-specific installation, mixed media, dimensions variable
Following the writing by Phan Cẩm Thượng, I attend 5am morning session around the Hoàn Kiếm Lake, everyday. This experience leads me to make one video work, and one thinking. The reason for the challenge in this city lies within the cats themselves. Avoiding the sounds of this city is the fault of the cats. Hunching down and not leaving the room in this city is also the fault of the cats. Until the hour of the cats arrives, the cat-human does not move. When the hour of the cats comes, the cat-human finally roams the city.
Jamie Yzabel Santos, Ich sehe Nostalgie, wenn ich über die Zukunft spreche – Aneignung eines Power Kite, 2023
Gehäkeltes Acrylgarn, ca. 300m x 50cm
Während die Zeit und die Technologie voranschreiten, wächst unsere Sehnsucht nach der Vergangenheit und einfacheren Zeiten. Nachhaltige Praktiken wie Wiederverwendung oder DIY sind untrennbar mit der Nostalgie verbunden, die in unserer heutigen Zeit allgegenwärtig ist. Die eigenen Bemühungen können sich manchmal vergeblich anfühlen, aber das ändert nichts an der Bedeutung des dahinterstehenden Gefühls. Dieser handgefertigte “Power Kite” wurde in der Hoffnung geschaffen, das Boot auf umweltfreundliche Weise zu segeln. Auch wenn es vielleicht nicht so funktioniert wie beabsichtigt, ist die Absicht voller Hoffnung und Sehnsucht.
Sylbee Kim, Bodies off Coordinates, 2023
Videoinstallation, Einzelkanal 4K übertragen in HD, Farbe, Ton, 14’14”; Sisalseil, gefundene Steine, Räucherstäbchen, Seetang, menschliches Haar, 3D PLA Druck, Baumwolle, Schnürsenkel, ca. 300 x 300 x 400 cm
Bodies off Coordinates (“Körper außerhalb der Koordinaten”) besteht aus einem einkanaligen Video und ortsspezifischen Arrangements von natürlichen und recycelten Materialien. Die Arbeit hinterfragt Mobilität im physischen und soziopolitischen Kontext. In dem Video lassen migrantische Körper das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit hinter sich und nutzen imaginative Sprünge, um den Sehnsuchtsort des jeweils anderen in der Vergangenheit und Zukunft zu besuchen. Indem sie lehren und lernen, in der “Muttersprache” des anderen zu singen, wird einer dem anderen ein vorübergehendes Zuhause. Die Arbeit imaginiert einen sicheren gemeinsamen Grund, auf der wir uns so treffen können, wie wir sind, befreit von kulturellen Projektionen und Vordefinierungen.
Jisu Kim, Where I am, 2023
Das Konzept der Mobilität in der Kunst geht über die physische Bewegung von Kunstwerken hinaus. Es geht vielmehr um die von Paul Valéry beschriebene “Mobilisierung der Werte”. Valéry impliziert, dass alle Aktivitäten, Gedanken und Vorstellungen Teil einer Wirtschaft werden, die auf dem Austausch von Werten basiert (was als Spekulation bezeichnet wird) – der Wert der Kunst ist in ständigem Fluss. Where I am besteht aus drei gleich großen Rahmen mit Video und Ton. Die Installation ist ein interpretatives und fragmentarisches Modell der Lagersysteme des Freihafens (eine Reihe von Rahmen hintereinander), welches die spekulative Behandlung der Kunst als Ware kritisiert, deren Wert oft unsichtbar für den öffentlichen Blick mobilisiert und manipuliert wird.
Kayle Brandon, heRRum, 2023
Zucker, Molasse, Ton, Tonaufnahmen Jazz-Klarinette, Brauerei Container, Zuckerrübe, Stoff
heRRum wird zu einem Körper, in 6 Akten. Teil 0: zwischen Enteignung und Vertreibung und Zugehörigkeit Teil 1: Vereinigung verstreuter Protagonisten: Menschen, Land, Arbeit, Zeit, Ursache, Wirkung, Pflanzen, Elemente, Lebensräume und Machtsysteme. Teil 2: Zusammenmischen, zu einem gärenden Körper, gurgeln, sprudeln, werden. Teil 3: Destillieren, Konzentrieren, das Herz wiederfinden. Teil 4: Sitzen in dunkler Eichenleere. Ein Jahr, um zu reifen, stark zu werden und den Geist zu verfeinern. Teil 5: Abfüllen, Versiegeln. Zerstreuen des heRRum entlang von Tauschwährungen, um von einem anderen Körper verzehrt zu werden.
Renen, The Journey Journals, 2021-2023, 2023
3-Kanal Videoinstallation, Full HD, 29’10”
Eine Collage von Video-Essays zwischen Urlaubsschnappschuss und dokumentarischer Sprache. In Filmmaterial aus den letzten zwei Jahren, das sich auf Reisen in verschiedene Länder angesammelt hat, taucht Renen ein, zoomt heran, verweilt, versinkt, hinterfragt, verkörpert die Kamera und folgt den Dingen und der Art und Weise, wie die Dinge erscheinen. “The journey journals, 2021- 2023” verbindet Eindrücke, Orte und Geschehnisse mit Ernsthaftigkeit und Zärtlichkeit für die mögliche Konstruktion von Affekten. Liste der Orte: Bayonne, Bermeo, Bilbao, Bremen, Cetinje, Col d’Ispéguy, Donostia-San Sebastian, Genf, Guernica, Herzegowina, Konjic, Kotor, Lausanne, Mostar, Paris, Podgorica, Prishtina, Prizren, Trebinje, Ulcinj.
Quỳnh Lâm, Dauerwelle, 2023
Video, 5’25”
Wie viele andere auch, hat mich mein Leben als “COVID-Flüchtling” seit 2018 bis heute auf viele unsichere Wege geführt. Derselbe Koffer begleitet mich auf meiner Reise von einem Projektort zum anderen und sammelt Tickets, Quittungen, Reiserouten, Formulare, Anträge und offizielle Dokumente für die Einreise und Wiedereinreise zwischen Europa und Asien. In letzter Zeit habe ich mich auf die Bewegung der Wasserwege in Italien, Österreich und Deutschland konzentriert. Diese Arbeit vermittelt den Eindruck von Mobilität in vielen verschiedenen Modalitäten – persönlich, ästhetisch, geografisch, kulturell, historisch und imaginativ.
Mohar Kalra, Breman in the Water, 2023
In den späten 1800er Jahren wurde die Weser vertieft und kanalisiert, um den Zugang zum Bremer Hafen von der Nordsee aus zu verbessern. Infolge dieses industriellen Eingriffs drückt die Flut zweimal täglich die Weser nach Bremen hinauf und kehrt die Fließrichtung der Weser um. Jeden Tag fließt die Weser in zwei Richtungen, zeigt zwei Gesichter, die jeweils unterschiedliche ökologische, persönliche, soziologische und wirtschaftliche Schichten der Stadt mit sich bringen. An der Dauerwelle hängend, wendet sich der Breman der Strömungsrichtung zu und schwimmt in einer sisyphushaften Anstrengung dagegen an. Er trägt ein aufkeimendes Land mit sich, das sich ständig den widersprüchlichen Strömungen der Stadt entgegenstellt.
Felix Dreesen, Ohne Titel, 2023
Buch
Vom Anfang bis Mitte November 2023 hielt ich mich im Rahmen des MAP Projektes zum Thema Alternative Mobility in Hanoi auf. Ein vor Ort erdachtes und gedruckte Künstlerbuch versammelt einige der zahlreichen Wandbemalungen die ich während meiner Fahrradtouren durch den städtischen und ländlichen Raum in und um Hanoi fotografiert habe. Üblicherweise sind die bunt und rasch gemalten Landschaftsbilder an Auf- und Abfahrten von Schnellstraßen, Privathäusern, Restaurants und Grundstücksmauern zu finden. Die Seiten des Buchen können in unterschiedlichen Leserichtungen und Konstellationen zu einander betrachtet werden. Das auf 16 Exemplare limitierte Künstlerbuch wird gleichzeitig in den Ausstellungen in Hanoi und Bremen präsentiert und steht zum Verkauf.
Yuhei Higashikata, How to Move Seeded Bananas, 2023
Site-specific Installation, mixed media, dimensions variable
We are trying to figure out how to move short bananas from Vietnam to Japan, which are never seen in Japan and are unknown to most Japanese people. In particular, bananas have been bred to be easier to eat, and most bananas are now seedless, which is different from the natural form. In one video, a short banana in Vietnam is being scanned using 3D scanning technology. The other shows the data being sent to Japan and printed out by a 3D printer.
Alexander Noah, Trapped (Eingeschlossen) , 2023
Installation, industrielle Bäckerei Papiertüten, Stahlstäbe ca. 35 x 20 x 7 cm
Auch wenn wir uns im Zeitalter der “Flexibilisierung” und “Globalisierung” befinden, sind immer noch die meisten Formen von Arbeit auf einen Ort angewiesen. Arbeit ist verhaftet an Reproduktionsnotwendigkeiten, denn Arbeitskraft, das Potential zu arbeiten existiert nur im lebendigen Menschen, welcher Nahrung, Schlaf, Erholung und soziale Beziehungen braucht. Die Ware hingegen, zusammengestellt aus “Naturstoff und Arbeit”, ist mobil und wird durch die Welt bewegt. Die Arbeit hat sich in ihr während des Produktionsprozesses vergegenständlicht und vom Menschen als ihrem Besitzer/Träger getrennt. Die Arbeit nach der Produktion wieder aus der Ware herauszulösen ist unmöglich. Wenn die Ware nicht verbraucht wird kann der Rohstoff darin eventuell weiterverwendet werden, die Arbeit ist jedoch verloren.
Ngô Đình Bảo Châu, Timekeeper, 2023
Video, 27’, in collaboration with StudioAPRIL, special thanks to Heritage Space, StudioAPRIL, Hung, Duc and Ni
“Chẳng có gì đặc biệt trong ngày hôm ấy – Timekeeper” is a time loop that parallels the movement of vehicle’s objects. In Hanoi, I cycle from my residence in Phất Lộc Alley to the studio on Ngọc Lâm Street, taking the route across he Long Biên Bridge, the journey consumes 27 minutes of my life. While I play with the concept of “space” and “time”, and consider mobility as a play, its existence remains absolutely essential. To my Mom – silent as a tree.
The Hanoi working group of MAP
Die Publikation zur Ausstellung mit Dokumentationen aller Beiträge und Texten der eingeladenen Kurator:innen erschien Anfang 2024.