Echolalia auf den Hochschultagen 2020
13. Februar 2020 - Ingo VetterIm vergangenen Jahr wurden die Studierenden der Klasse Vetter/Westphalen gefragt, ob sie daran interessiert wären, das Foyer der Hochschule für Künste temporär zu gestalten. Ein Teil der Klasse sagte zu. In den darauffolgenden Gesprächen wurde schnell klar, wie komplex diese scheinbar simple Aufgabe eigentlich war. Das Gebäude der HfK verfügt als ehemaliger Speicher über eine Vielzahl von Ein- und Ausgängen. Waren und Menschen konnten nicht nur in jedem beliebigen Abschnitt des langgestreckten Komplexes, sondern über Kräne auch auf allen Stockwerken von außen nach innen und wieder hinausgelangen. Die Durchlässigkeit war der gebaute Ausdruck eines optimierten Warenflusses und der damit einhergehenden merkantilen Wertschöpfung. Das Speichergebäude ist ein wichtiges, aber – wg. Containern usw. – obsoletes Teil einer mächtigen globalen und, wie wir heute zugeben, ungerechten wirtschaftlichen Struktur. Eine Hochschule für Künste, stellt andere Ansprüche an ihr Gebäude als der Import-Export. Verlief der Bewegungsfluss vormals vorherrschend quer zur Hauptachse des Hauses als Vielzahl paralleler Ströme, soll er nun gebündelt entlang der Korridore geschehen. Dies wird durch die Etablierung eines Haupteinganges und die Installation eines Alarm- und Warnsystems, das jede unautorisierte Nutzung der Nebeneingänge lautstark anmerkt, unterstützt. Was einmal durchlässig war wie ein Schwamm oder eine Schleuse, wird nun eher wurmartig (oder wurstpellenartig) nur von einem Ende her versorgt. Der Übergang von der privatwirtschaftlichen Vulgärarchitektur zur staatlichen Bildungs- und Kultureinrichtung hat eine räumliche Hierarchisierung mit sich gebracht, was zu einer komischen Ballung von Funktionen am engen Kopfende führt: Eingang, Ausgang, Empfang, Sicherheitsschleuse, Informationszentrum, Lieferweg, Zwischenlager für Anlieferungen, Fluchtweg, Wartebereich für den Vorlesungssaal und sogar frühdigitaler Informations-Hub, in Form zweier festverankerter stehpultartiger Terminals, Relikte aus einer vergangenen Zeit vor der Durchdringung der Welt durch Smartphones. Und dazu soll nun noch eine künstlerische Gestaltung kommen. Die Studierenden der Klasse Vetter/Westphalen, einer Bildhauereiklasse, deren Atelier sich übrigens am entfernten Ende des Gebäudes befindet, kamen in ihren Gesprächen immer wieder zu dem Schluss, dass man diesem fantastischen Potpourri aus historischen, funktionellen und weltanschaulichen Mustern, nicht sinnvoll noch etwas ganz anderes aufpfropfen kann. Eher schien es ihnen interessant, Acht zu geben und zu schauen, was sich an diesem Portal jetzt schon manifestiert. Sie entschieden sich für eine Strategie der Spiegelung, der Wiederholung und des Nachäffens. Echolalia ist das ungewollte Reproduzieren der Äußerungen Anderer. Das kann einzelne Worte oder ganze Sätze betreffen. Echolalia kann unmittelbar auf eine Äußerung folgen, oder verzögert, manchmal Jahre später, durch einen Reiz ausgelöst auftreten. Bei Kleinkindern kommt Echolalia besonders in der Phase des Spracherwerbs sehr häufig vor und stellt eine normale und notwendige Komponente des sozialen Lernens dar. Als neurologisches Symptom wird es unter anderem mit dem Autismus-Spektrum assoziiert. Die Hochschule ist ein Ort des Lernens. Über gewisse Formen des Lernens spricht es sich einfacher als über andere. Was rational und in sprachlicher Form stattfindet, kommt uns dabei entgegen. Prozesse, die unbewusst ablaufen, körperlicher Natur sind und nicht zu buchstäblich-intellektuellem Wissen führen, sondern zu dem, was im Englischen als Tacit Knowledge (stillschweigendes Wissen) bezeichnet wird, entziehen sich leicht dem Verständnis. Die Arbeiten, die im Rahmen von Echolalia entstanden sind, lehnen sich bewusst in diese Richtung. Es sind keine klugen Kommentare oder kritischen Durchdringungen, sondern reflexhafte Reaktionen. Denjenigen, die jetzt denken könnten, ein solcher Verzicht auf eine kritische Positionierung der Kunst sei nicht nur dumm, sondern auch unverantwortlich, sei entgegengehalten, dass Skulptur eine andere Syntax, einen anderen Wortschatz hat, als Sprache. Es sei ihnen weiterhin entgegengehalten, dass Kunsthochschulen seit jeher Orte der Imitation gewesen sind, nur das hier nicht mehr die Werke der Meister*innen (ob- wohl es in der Regel eben doch nur Meister waren) imitiert werden, sondern die banalen Randerscheinungen der systemischen und technischen Gegebenheiten, unter denen künstlerische Ausbildung stattfindet. Drittens, kann man festhalten, dass das unkommentierte Wiederspiegeln das Rückgrat der modernen Psychotherapie ausmacht und also durchaus eine produktive Funktion haben kann. Es ist nämlich gar nicht so entscheidend, ob die Therapeuten ganz genau zuhören oder bloß tagträumen, solange sie im richtigen Moment sagen: „..und wie war das mit Ihrer Mutter/Ihrem Vater?“ Die Klasse Vetter/Westphalen wird unter der wahrscheinlich einzigartigen Bezeichnung „Bildhauerei mit klassischen Materialien“ geführt. Der gipsverschmierte Fußboden des gemeinsamen Ateliers, singt ein Lied davon. Für die Hochschultage haben die Studierenden beschlossen, ihre Präsentation im Atelier ebenfalls unter den Titel Echolalia zu stellen. Echolalia wird also für einige Tage an zwei Orten stattfinden, dem Foyer der Hochschule sowie dem Atelier der Klasse Vetter. Danach wir Echolalia als temporäre und ortsspezifische Ausstellung im Foyer verbleiben, während das Atelier wieder Arbeitsraum wird.